Der `Salon Übergänge` wurde durch die Corona-Krise in die Pause gezwungen. Die für den Sommer und Winter 2020 geplanten Salon-Termine entfallen.
In der Zwischenzeit bringen wir in diesem Blog in lockerer Folge Texte, Bilder und andere Beiträge, die mit dem Leben in der Corona-Zeit zu tun haben. Viel Vergnügen beim Lesen und Anschauen.
Wir melden uns, wenn der der Salon wieder stattfinden kann.
Impressionen vom ersten Lockdown
von Sigrid Engelbrecht
Leib und Leben
Während Corona vor sich hin wütet,
schleppt Kater Kimmo
frühmorgens
eine Maus an,
eine Maus, eine Maus, eine quietschfidele Maus,
die nach wilder Hetzjagd
jetzt unter der Spülmaschine hockt.
Es bleibt das Warten
wie’s weitergeht mit ihr.
Auch ein Mauseleben birgt
Tausend Gefahren.
Keine Wahl
To be in lock down, or not to be in lock down:
that is sadly out of the question.
Ausbruch
Die Isolation droht
uns grad mal alle zu fressen.
Ich Stadtrandbewohnerin
Entkomme leichtfüßig
Und spaziere auf der Grenze
Zwischen Berlin und Brandenburg.
Begegnungen
Seit fast schon fünf Jahren
drehe ich Abend für Abend meine Runden,
Sehe Häuser, Bäume, Zäune und Eichhörnchen
Drehe weite Runden.
Nach Süden, Osten, Norden und Westen.
Jedes Mal geh ich woanders lang.
Betrachte Wege, Häuser und Gärten,
sehe die Blumen blühen,
höre die Vögel zwitschern
und fühle
wie der Wind mir über die Haut streicht.
Noch nie bin ich dabei
so vielen Menschen begegnet
wie zu Zeiten des Lockdown.
Corona ist anders
von Ewald Schürmann
Schwer zu erkennen
Krankheiten waren für mich bisher meist sichtbar. Traf ich auf Kranke, so sah ich Symptome, die klar erkennbare Warnsignale waren. Also, Leute mit Husten, Schnupfen oder Grippe zeigten mit entsprechenden Reaktionen ihre Erkrankung so alarmierend, dass ich gewarnt war und Distanz hielt. Wer aber Covid-19 hat und potenziell ansteckend ist, zeigt zunächst gar keine Symptome und wenn sie dann kommen, ist Quarantäne angesagt, womit die Kranken aus der Öffentlichkeit verschwinden. Das ist die Schwierigkeit bei dieser Krankheit, dass sie am Anfang so schwer zu erkennen ist und zwar sowohl für die Betroffenen als auch für die Kontaktpersonen. Gerade in dieser Phase der Ahnungslosigkeit passieren dann die häufigsten Übertragungen.
Schwer einzuschätzen
Saisonale Erkrankungen, die grassieren und durch Viren verursacht werden, kenne ich, weil ich sie schon öfter gehabt habe. Aus dieser Erfahrung konnte ich bislang ihren zeitlichen Verlauf und ihre Gefährlichkeit einschätzen. Bei Corona ist das aber noch offen und sogar die medizinische Wissenschaft ist da noch in einer Forschungs- und Lernphase. Obwohl sich der Erfahrungsstand mit Anhalten der Pandemie ständig weiterentwickelt, sind immer nur ungefähre Prognosen möglich. Dass hier mein eigenes Bauchgefühl zur Einschätzung meiner Gesundheit und Widerstandskraft gegen Krankheiten nicht ausreicht, um einigermaßen sicher mit der noch weitgehend unbekannten Krankheit Corona umzugehen, ist klar.
Gesundheitspolitik der einfachen Regeln und dramatischen Folgen
Grundsätzlich muss ich sehr vorsichtig sein, um mich nicht der Gefahr einer Ansteckung auszusetzen. Deshalb halte ich mich an die offiziell von der Gesundheitspolitik zunächst empfohlenen und inzwischen per Gesetz verpflichtenden Hygieneregeln und trage eine Maske, wasche regelmäßig die Hände und halte Distanz zu anderen Menschen. Das ist eigentlich keine große Sache, auch wenn einige Leute deshalb ein großes Trara veranstalten. Schmerzhaft ist natürlich der Lockdown, weil damit der normale Alltag weitgehend nicht nur lahmgelegt, sondern in seiner Lebenspraxis zunehmend zerstört wird. Ob beruflich oder privat, wir Menschen stehen ständig miteinander in hochaktiven Beziehungen und Aktionen, was jetzt ausgebremst wird.
Viel Vertrauen in die Wissenschaft
Mit ärztlichem Rat bin ich bisher meist wie mit einer Empfehlung umgegangen, die mir immer noch genug Spielraum bot, um selbst zu entscheiden, wie ich mit meinem Körper und Krankheiten umgehe. Ich kann gegen Bluthochdruck die verschriebenen Medikamente nach Vorschrift einnehmen oder durch sportliche Bewegung, Ernährungsumstellung und Gewichtsabnahme alternativ versuchen, den Blutdruck niedrig zu halten. Ich kann also experimentieren und sehen, wieweit ich komme. Bei Covid-19 geht das aber nicht so einfach. Weder mein bewährtes Naturheilmittel des Zitronen-Ingwer-Honig-Getränks, das den Schnupfen löst, noch die in der nächsten Stufe stärkeren Tropfen aus der Apotheke können helfen, sich gegen die unbekannt gefährliche Krankheit zu schützen oder wenn man daran schon erkrankt ist, zu heilen. Alles hängt davon ab, wieweit die medizinische und pharmakologische Forschung in der Entwicklung eines Impfstoffes voranschreitet. Ich kann noch so viel in meinen Körper hineinhorchen und auf meine Selbstheilungskräfte vertrauen, jetzt muss ich der Wissenschaft vertrauen.
Alle müssen lernen, wie Medizin geht
Vertrauen ja, aber nicht blind und unreflektiert soll das Verhältnis der Gesellschaft zur medizinischen Heilkunde sein. Früher waren die Ärzte autoritär und verschwiegen, sie muteten ihren Patienten nur wenige Informationen zu und dann immer mit beruhigenden Worten und klaren Anweisungen. Heute sagen einem die Zahnärzte bei jedem Handgriff ihrer Behandlung im Mundbereich, was sie gerade tun, wie es weitergeht und welche Risiken sie eventuell eingehen müssen. So auch die Virologen, die vor der Öffentlichkeit ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten täglich die aktuellsten Corona-Statistiken präsentieren und ganz offen darüber reden, wie es um die Erkenntnisse der Corona-Forschung steht und das noch viele Fragen offen und ungeklärt sind. In stundenlangen Podcasts von namhaften Wissenschaftlern werden Studien referiert und Theorien entwickelt, die zeigen, wie offen und experimentell die Verfahren der Wissenschaft sind, bis sie zu sicheren Ergebnissen und Problemlösungen kommen. Mir als Bürger wird dabei viel Geduld und Lernbereitschaft abverlangt. Aber die Krankheit Corona ist nun mal Realität und die Prozesse der Entwicklung einer Therapie brauchen längere Zeiträume. Bis zu erfolgreichen Ergebnissen geht es darum, die Krankheit in ihren Auswüchsen der Pandemie einzugrenzen, was nur durch Disziplin von uns allen möglich ist. Das ist unangenehm, aber ich muss damit leben.
Warten auf die Impfstunde Null
Alles läuft nun darauf hinaus, dass nur durch eine massenhafte Impfung weiter Teile der Gesellschaft Covid-19 zurückgedrängt werden kann und wieder schrittweise Normalität im Alltag möglich sein dürfte. Warten also auf die Impfung, die mich und uns alle immun machen soll gegen Corona. Dieses Warten hält nun seit über einem halben Jahr an und wird nicht einfach mit einem Schlag aufhören. Wer hat sich bisher dafür interessiert, wie lange die Entwicklung von Impfstoffen dauert? Und welche Prozesse der Korrektur, Überarbeitung, Beseitigung von Nebenwirkungen usw. noch folgen werden? Die Grippeimpfungen werden auch in jedem Jahr aktualisiert und das sind Entwicklungsarbeiten, die im Stillen geschehen, weshalb auch nicht bekannt ist, welche Risiken und Opfer es dabei gibt. Trotzdem, meine Hoffnung kann jetzt nur sein, dass im Laufe des nächsten Jahres die Impfstunde Null kommen wird. Ich bin aber vorbereitet durch die bisherige Anspannung aus der Pandemie, dass da noch viele Ungewissheiten auf uns zukommen werden.
Lektion Corona?
Was haben wir durch Corona gelernt? Zunächst und zuallererst haben wir es mit einer Krankheit zu tun, die nicht nur den Körper befällt, sondern durch die Schutzmaßnahmen bis zum Lockdown Effekte auslöst, die sich zu einer weltweiten Krise in den Gesellschaften auswächst. Dabei tangiert Corona nicht nur Aspekte des Gesundheitssystems, sondern auch der Wirtschaft, Kultur, Bildungseinrichtungen und vor allem des Privatlebens. Es kommt zu Härten und Krisen, die bedrohliche Auswirkungen haben. Von Anfang an wurde die Parole ausgegeben, „auf Sicht zu fahren“, was ein geplantes Leben zurückstellt, und genauso leben wir jetzt, indem wir uns jeden Tag irgendwie neu der aktuellen Situation anpassen müssen. Dass dabei etwas gelernt werden kann, mag sein, aber ich sehe da keine bedeutenden Erkenntnisgewinne oder Innovationen. Arbeiten im Home Office, Online-Sitzungen bis zu Konferenzen und Tagungen oder lernende Schüler am häuslichen Computer gab es schon vorher, nur ist es jetzt verbreitet massenhafte Praxis. Die Erfahrungen müssen da noch ausgewertet werden. Corona als Krise muss auch nicht zur Chance umgedeutet werden. Lieber wäre mir, wenn ich mein Leben durch direktes aktives Handeln konstruktiv gestalten könnte. Corona als Lernprozess? Sich eine Krise als Lernprozess schönzureden, ist eine beliebte Wendung ins Konstruktive, die aber auch den Blick auf die Realität der grassierenden Pandemie verstellen kann. In Wahrheit tut eine Krankheit immer weh und das muss ich letztlich einfach nur durchstehen. Ich hoffe, dass ich dabei in der erzwungenen längeren Pause Kräfte sammeln kann, um mich nach Corona wieder aktiv bewegen zu können. Aber ich glaube nicht, dass dabei eine Rückkehr zu alten Gewohnheiten möglich sein wird und es wird auch keine Normalität mehr geben. Zu stark ist der Eindruck der Corona-Erfahrung und noch viele Ungewissheiten stehen an, wie es weitergehen wird.
Ewald Schürmann, 72, Journalist und Öffentlichkeitsarbeiter. Mich hat immer die öffentliche Diskussion interessiert. Das begann mit Flugblättern, die ich während der 68er Studentenbewegung schrieb und reicht bis heute zu unserem Projekt Übergänge60plus, bei dem wir einen Salon mit anregenden Gesprächen gestalten wollen. Als Begleitmedium zu diesen Gesprächen ist dieser Blog eingerichtet, in dem die Salontreffen dokumentiert und die Diskussionen weitergeführt werden sollen. Ich habe mich lange mit der Berichterstattung über Tagungen, Kongresse, Podiumsdiskussionen oder Fachgesprächen beschäftigt und fand dabei immer, dass der Gedankenaustausch unter engagierten Leuten, auch wenn es mitunter noch so chaotisch zugehen kann, wunderbare und wertvolle Ideen enthalten kann. Diese Gesprächsprozesse schriftlich nachzuzeichnen in Artikeln oder Dokumentationen empfinde ich als wichtige Arbeit zur Sicherung kollektiven Denkens. Auch meinen journalistischen Einsatz für die Öffentlichkeitsarbeit der Volkshochschule, z.B. im Blog der Elternakademie, wo ich Porträts von Deutschlerner*innen veröffentliche, verstehe ich im Sinne eines Erkundens und Entdeckens von spannenden Bildungsbiografien. An der Volkshochschule treffen sich ganz unterschiedliche Menschen mit wertvollen Erfahrungen und Fähigkeiten. Für die Zeit nach Corona hoffe ich, dass unser Salon ein Ort sein wird, an dem sich dieses kreative Potenzial in guten Gesprächen entfalten kann.
Eine Krise kann anregend sein. Es entsteht vielleicht etwas anderes.
von Stefani Majer
Beeinflusst von Erlebnissen, von Lektüren, geprägt durch Vorlieben, ange-spornt von Pflichten, schreibe ich auf, was mir erwähnenswert scheint. Nicht regelmäßig, aber kontinuierlich. Zu meinen Notizen gehören Träume, wenn ich sie behalten kann, aber auch Dinge, die ich mir tagsüber merke oder überlege. Nicht, weil ich so begeistert von mir wäre, sondern, weil ich denke, es ist eine Möglichkeit, das Leben mit mehr Distanz zu betrachten. In dem Text, den ich hier schreibe, flaniere ich durch die vergangenen Monate, ohne eine Deutung parat zu haben. Was ich unterwegs gefunden habe, habe ich hier aufgeschrieben.
Namen: Lucie + Lene, Tochter und Enkelin. Freunde haben einzelne Buchstaben.
Träume, Zitate, Buchtitel, Autoren/innen sind schräg und klein geschrieben.
Flote Oma – erste Welle

Meine Enkelin Lene hat eine Aufgabe in der Schule bekommen. Sie geht in die 5. Klasse der Rosa Parks Grundschule in Berlin Kreuzberg. Alle Kinder sollen über ihre Oma schreiben.
Bei einem unserer Treffen erzählt sie davon und zeigt mir ihre Aufgabe. Ich amüsiere mich mächtig.
Die meisten Omas sind heute anders als früher. Ich zähle mich dazu, ich bin so eine flotte Oma. Zwar mache ich keine Hampelmänner in der Luft und springe nicht Seil, aber ich halte mich fit. Schwimmen gehen, Fahrrad fahren, zu Fuß durch die Stadt laufen, Pilates am offenen Fenster machen, Fahrradtouren nach Brandenburg und anderes mehr.
Viele Großmütter sehen heute anders aus als früher. Sie tragen Anoraks und bunte Regenjacken aus organic sustainable material. Es sind wasserabstoßende, winddichte outdoor Kleidungsstücke.
Im Etikett auf der Innenseite steht designed by adventure. In jüngerer Zeit werden die Kleidungsstücke schon mal in Mönchengladbach hergestellt. Der style heißt jungle, das Obermaterial ist aus Polyester oder Polyurethane, mit einer Wattierung aus zwölf Prozent Elastan, featherless, keine Federn. In meiner Regenjacke steht innen am Kragen plastic is over. Beim Waschen soll man keine Weichspüler benutzen.

Ich schaue im Internet nach, wie Mönchengladbach geschrieben wird, ob mit ü wie München oder mit ö. Auf der website springen mir als erstes 49 Hotels ab 37 Euro entgegen. Es sind Herbstferien und das Reisen scheint lebensnotwendig zu sein.
Wir können aber nicht reisen, gehören in Berlin zum Risikogebiet und bleiben schön brav zu Hause. Heute ist der 10. Oktober 20 und es wird noch viele Monate so weitergehen.
Es ist eine komische Zeit. Mit ineinander verschachtelten Räumen. Man blickt zurück auf davor und nach vorn auf danach. Ich halte sie an und besinne mich auf den Moment.
Es passiert alles gleichzeitig, während ich vielleicht gerade gedankenverloren an einem Schaufenster vorbei gehe.
In diesem Augenblick spult der Film ein paar Sequenzen zurück.
Es sind nur wenige Monate vergangen seit Februar diesen Jahres bis heute im Oktober desselben Jahres. Dennoch habe ich das Gefühl, als lebte ich jetzt in einer anderen Zeit.
Am 22.02.20 schreibe ich in mein Notizbuch:
`Die Dämonen müssen dabei sein, sie müssen bewacht werden, aber dabei sein.` Ingmar Bergmann
Gibt es überhaupt noch Dämonen? Ist nicht alles cool, verstehbar, berechenbar und planbar geworden, selbst die Pandemie?
Seit das Virus da ist, entstehen unterschiedliche Verschwörungsfantasien, die versuchen, mit eindeutigen Antworten das Böse aus zu treiben, damit die geheime Macht, die scheinbar ohne Erklärung über die Menschen hereinbricht und schwer zu ertragen ist, in eine Schublade passt.
Mein Fahrradhändler ist fest davon überzeugt, dass eine federführende Nation das Virus mit Drohnen ausgestreut hat, um uns für den kommenden Überwachungsstaat gefügig zu machen. Es hat keinen Zweck mit ihm zu diskutieren.
24.02.
ich träume davon mich selbst zu befragen, wie ich schlafe. Als Voraussetzung darf ich keine Zeitung lesen, nicht fernsehen, dafür soll ich viel in der Natur sein.- Auf der Insel Faro, wo Ingmar Bergmann ein Haus hatte.
durch das Gras auf der Insel vor mir stapft Lene, entfernt sich immer weiter von mir. Ich mach das schon auf meine Art, ruft sie mir zu. Meint sie damit, dass sie auf Anregungen von mir nicht mehr angewiesen ist? Ich fahre ihr mit dem Auto hinterher, weil ich sie noch mal treffen will, komme dabei in eine unwegsame Gegend, die ich nicht kenne, aber doch schon einmal gesehen habe. Mein Auto manövriert durch eine enge Kurve, von der aus das Meer zu sehen ist.
Ausgiebiger Spaziergang übers Tempelhofer Feld. Von weitem sehe ich eine rötliche Backstein Mauer. Das ist doch San Michele, die Friedhofsinsel in Venedig, denke ich.
Wenn man mit dem Vaporetto von der Station Fondamente Nuove in Richtung Giudecca fährt, kommt man an San Michele vorbei, der großen, dunklen Totenstadt. Schwarze Zypressen ragen in die Luft. Der Friedhof ist von einer rötlichen Backsteinmauer umgeben.
Heute fahre ich noch einmal zum Tempelhofer Feld, um die Backstein Mauer zu fotografieren. Aber ich kann nicht nachvollziehen, was mich am 22. Februar geritten hat. Es braucht einige Fantasie, um die Tempelhofer Backsteinmauer mit Stacheldraht oben drauf mit der von Venedig zu vergleichen. Trotzdem habe ich am 22. Februar diese Eingebung gehabt.

So arbeitet eben das Unterbewusstsein, nämlich fehlerhaft. Abgesehen davon, dass drei Viertel unserer Wahrnehmungen in der Versenkung landen, uns also nicht zur Verfügung stehen, ist sie auch noch abhängig von der Stimmung des Tages, an dem wir etwas erleben.
Müssten wir folglich nicht vorsichtiger sein mit Sicherheiten, die wir verkünden und Meinungen, die wir von uns geben?
Stattdessen könnte es sich lohnen, mehr Gemeinsamkeiten herzustellen.
Es ist wohl das Thema Friedhof, das mich beschäftigt, denn auch hinter der Tempelhofer Backsteinmauer liegt ein großer Friedhof. Die vielen Gräber aus verschiedenen Kontinenten im Fernsehen übertragen, führen mich instinktiv dorthin.
25.02.
bin mit A im Kino, der Film heißt kill me today, tomorrow I am dead. Er handelt vom Eigennutz der NGO´s und der Absurdität des Krieges. Die Handlung spielt während des Jugoslawien Kriegs.
Ich habe ihn nicht zuletzt wegen des Titels ausgesucht. Er passt gut zu Corona, denke ich. Nämlich zu der Frage, leben wir morgen überhaupt noch? Nach dem Film sprechen wir lange über Krieg, die Tötungsmaschine der Menschheit.
27.02.
Vorsatz: an einem Tag in der Woche etwas tun, das ich noch nie gemacht habe.
Ich habe große Sehnsucht nach Natur.
28.02.
…lese in einem Buch die passende Beschreibung für Ferienwohnung in Zeiten von Vermittlungsagenturen, alles praktisch und sonst nichts. Das Buch ist von Judith Hermann, und heißt Alice. Mit sonst nichts meint die Autorin das Seelenlose, das solchen Unterkünften oft anhaftet.
Da kann ich mit meinem urigen Haus im Hinterland von Ligurien noch punkten, selbst wenn die Dusche vierzig Jahre alt ist….. Manchmal habe ich deswegen ein schlechtes Gewissen, denn das Rustico im Hinterland entspricht nicht dem heutigen Einrichtungsstandard. Daher nenne ich es das urige Haus. In diesen Tagen will ich es zu vermieten, da ich selbst nicht hin fahren kann.
Interessenten, die sich bei mir melden, lesen eine Beschreibung, aus der so klar wie möglich das Einfache des Ortes hervorgeht, aber zugleich das Urige anziehend wirkt. Raffiniert, oder?
1.03.
Am Abend gibt es in meiner Wohnung in Kreuzberg ein Essen. Nach dem Motto, alles praktisch und sonst nichts. Ke, mein Mitbewohner aus China und seit kurzem auch mein Kalligrafie Meister, hat versprochen einen chinesischen Feuertopf für mich zu kochen. Er lädt Y dazu ein, seinen Freund, den Musiker und Klarinettisten. Leider hat der sein Instrument vergessen. Schade, ich hätte ihn gerne spielen gehört.
Als ich nach Hause komme, sind da nur Kartoffelschnitze mit Sojasauce, nebst Hähnchenflügeln, die mir schon zu den Ohren rauskommen. Ich bin enttäuscht und irgendwie wütend, sage es auch.
Wir schauen auf meinem Beamer Berlin Alexanderplatz an, den Film von R.W. Fassbinder. Ich denke, er könnte für sie interessant sein, aber nach kurzer Zeit brechen wir ab.
Der Streifen entpuppt sich als langatmiges, umständliches Werk. Außerdem ist die Stimmung nach dem sogenannten Essen mies. Verpatzter Abend. Brrrh!
4.03.
Ausstellung Ausstellung Ausstellung. Ich bin mit nichts anderem mehr beschäftigt, außer meinen Kursen an der Volkshochschule.
Packe alle meine Bilder in meterlange Noppenfolie ein und befestige sie mit sehr viel Klebeband. Es sind vierzehn Stück.
6.03.
Was ich derzeit erledigen will, ist einfach zu viel. Ich muss acht geben, mich nicht zu überfordern. Ich weiß, was das mit sich bringt. Vergesslichkeit, Fehlhandlungen, gereizt sein. Solch ein Mix darf nicht eintreten, trotz der Maloche für das bevorstehende Ereignis.
Ein/e Handwerker/in an meiner Seite wäre jetzt gut. Das Handwerk würde mir helfen, die Bilder fertig zu machen. Mit Passepartouts, Rahmen, Verglasung und Aufhängung.
Tagebuch von Ursus Wehrli. Heute hab ich beinahe was erlebt. Zu jedem Tag notiert er absichtlich Unbedeutendes. Das ist schwer, denke ich. Ich kenne seine Bücher Kunst aufräumen, in denen er bekannte Kunstwerke in ihre Einzelteile zerlegt. Aber es geht mir dabei so: einmal gesehen, Idee verstanden, das genügt.
Zu Sonntag schreibt er:Froh nichts zu tun zu haben, zähle die Wolken…
Die Wolken zähle ich gerade nicht. Bin am Wochenende schon morgens mit Schraubenzieher, Drähten und Metermaß unterwegs, halte winzige Schrauben zwischen Daumen und Zeigefinger, in der Hoffnung das vorgebohrte Loch zu treffen. Es geht natürlich mehrmals schief. Also Brille aufsetzen, herunter gefallene Schraube suchen, Fußoden abtasten. Ich schaffe es trotzdem.
Ansonsten betrachte ich auch gerne die Wolken. Wie sie vorüberziehen, wie sie sich ändern, wie sie sich überlagern, auflösen, einfärben, das ist Musik, die verklingt, während man sie genießt.
9.03.
Lene geistert durch meine Unterwelt, als wäre sie leibhaftig hier, quicklebendig. Im Traum habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihr abgesagt hab. An Einzelheiten kann ich mich nicht erinnern.
Es geschieht wegen unserer Ausstellung Serpentinen in der Galerie von K. Auf den merkwürdigen Titel haben wir uns endlich einigen können. Er erinnert an Gurt anlegen und anschnallen. Übertragen auf Malerei ein spannendes Konzept.
In der Wirklichkeit wabert das Corona Virus um uns herum. Es gibt keinen Bereich, der nicht davon erfasst ist. Ganz Italien ist abgesperrt, mein Urlaub zu Ostern findet nicht statt… das Geld für die Flüge ist weg, ebenso wie die Aussicht auf das saftige Grün in den Bergen, die unverbrauchte Luft, den Sternenhimmel und das Mittelmeer. Meine Genueser Freunde haben schon zugesagt zu kommen, wir wären auf der `Alta Via Ligure` gewandert. Wie schön wär das gewesen!
Stattdessen träume ich von einer Landschaft, die es so nicht mehr gibt.
Pinienwälder direkt am Meer, Tannennadeln auf dem Waldboden, intensiver Geruch, ich taumele. Durch die Stämme der Bäume rauscht das Meer, seine türkis Farbe schimmert durch die dunklen Äste, die Wellen brechen in weißen Schaumkronen. Es riecht nach Salz und See. Die Zikaden zirpen ununterbrochen und so laut, als wollten sie den Wald absägen.
Ein Gefühl von Zeitlosigkeit. Nichts anderes existiert als meine Schritte auf dem weichen Grund.
11.03.
Corona Virus: das Einzige, wovor wir uns fürchten müssen, ist die Furcht selbst.
Er sie es ist ständig präsent, tönt aus allen Kanälen, kann seinen Artikel sogar dem gängigen Sprachgebrauch anpassen. Es kann heißen der Virus oder das Virus. Die Endsilbe – us ist sonst immer maskulin.
Es ist ein lärmendes System. Einer von fünf Fällen verläuft ernsthaft, entnehme ich einem Podcast. Unterschiedliche Szenarien werden durchgespielt, the worst case ist das Leben mit der Ungewissheit.
12.03.
ich schaue mit dem Kopf aus dem Wasser. Über mir steht P, die verloren gegangene Freundin. Triefend vor Nässe steige ich aus der Tiefe, sie kommt aus der Luft von oben, gespenstisch beleuchtet, mit großer Nase und langen Schatten im Gesicht.
dann kommt ein anderes Bild, Du bist meine persönliche Weiterbildung, sage ich zu O, der im Gras sitzt. Er schmunzelt und gluckst sein kehliges Lachen. Da ist sie wieder, die innige Verbindung zwischen uns, der flirrende Charme, unser beider Verschmitztheit.
nächtens rufe ich sie herbei, die abwesenden Freunde.
In Wirklichkeit besuchen wir uns nicht. Es gibt keine Einladungen zum Essen, kein Kino, keine Konzerte. Nur noch Telefonate und mails. Man läuft bis mittags in Trainingshosen in seiner Wohnung herum.
13.03.
`…wenn man das Leben vernünftig anschaut, schaut es vernünftig zurück.`Agnes Heller, die ungarische Philosophin, die beim Schwimmen ertrunken ist. Immer wieder beteuert sie, wie gerne sie schwimmt. Dann geht sie zum Baden und verschwindet für immer.
Ich mag diese neunzig jährige unerschrockene Person, habe vor kurzem noch ein Buch über Komik von ihr gelesen. Mir kommt der Gedanke, ob ich wohl auch beim Schwimmen enden könnte. Wo ich es doch so gerne tue und immer weit raus.
14.03.
Unsere Ausstellung, die heute eröffnet werden sollte, ist verschoben.
Ein schwerer Entschluss. Die Ateliergruppe giftet sich an, denn nicht alle sind der gleichen Meinung. Ehemalige Professoren können auch ausfallend werden, wenn es gegen ihre Interessen geht. Ich bin dafür, weil wir alle zur Risikogruppe gehören, weil ich eine Erfahrung will, die unbeschwert ist.
18.03.
Hamsterkauf. Im Traum gehe für sehr viel Geld einkaufen. Es sind 88.- Euro, die ich für mich alleine an der Kasse zahle. Und das auch noch bei dem Laden an der Ecke, hier schräg gegenüber, wo es nichts Vernünftiges zu kaufen gibt. Beim Kassierer entschuldige ich mich mit der Bemerkung, ich bekäme Besuch.
Es gibt überhaupt keinen Besuch im Moment. Von niemandem, nicht von Lucie, nicht von Lene, keine Fahrradtour mit E, keine Kurse an der VHS… Stattdessen befinde ich mich in Zwangsgemeinschaft mit mir selbst. Wir sind isoliert. So viel wie möglich bleiben wir in unseren Wohnungen.
21.03.
Lucie und ich sind im urigen Haus in Italien. Wir stehen auf der Steinplatte vor der roten Eingangstür mit der Stechpalme und dem Schlüssel im Blumentopf daneben. Auf dem Absatz vor der Tür haben wir einen alten Fernseher abgestellt, den wir verkaufen wollen. Von unten kommen Leute hoch, die uns besuchen, wir warten oben auf dem Absatz. Für die Ankömmlinge sind wir riesig groß, während sie von uns aus gesehen wie Zwerge aussehn.
Hintergrund: Wenn man sich nicht informieren würde und nur für sich lebte, den Fernseher einfach vor die Haus Tür stellte, wäre die Situation mit dem Virus dann einfacher zu ertragen? TV, laptop, Zeitung, Radio. Das lärmende System hat sich in meinem Leben eingenistet. Es wird so oft das Gleiche gesagt. Ein stummes Getöse, wie das Murmeln einer Litanei in der Kirche.
Der Fernsehapparat auf dem Absatz vor dem urigen Haus, könnte aus dem Ugumbu stammen, der Ölmühle direkt nebenan. Als ich 1987 das urige Haus erwerbe, steht da wikrlich ein steinzeitlicher Apparat auf einem Podest, noch halb verpackt in einem zerfledderten Karton. Nach der Ölmühle ist das Ugumbu eine Schule gewesen. Der Guckkasten stammt aus den 60 igern. Bevor er benutzt werden kann, schließt die Schule. Plötzlich gibt es eine asphaltierte Straße, auf der die Kinder zum Lernen in die 10 km entfernte Ortschaft gebracht werden.
In meiner Erinnerung ereignet sich alles im Zeitraffer. Ist das ein Zeichen da- für, wie alt ich schon bin? Meine Erfahrungen werden allmählich zu Überschriften. Den Roman dazu lese ich jetzt wieder neu, nachträglich aus meinem Gedächtnis.
Das Ugumbu wird bald darauf von einem Immobilienmakler aus San Remo gekauft und wieder hergestellt, in mehrere apartments unterteilt und teuer an verschiedene Besitzer abgestoßen. Das urige Haus ist inzwischen auch renoviert, zumindest von außen.
Die noch verbleibenden einheimischen Dorfbewohner fühlen sich zunehmend unwohl. Die Fremden, von denen keiner das ganze Jahr über bleibt, manche nur englisch sprechen, werden skeptisch beäugt. Ganz Ligurien wählt jetzt national konservativ.

22.03.
K, mein chinesischer Mitbewohner in Berlin schafft einen Riesen Koffer aus der Wohnung. Es ist ein traurig absurder Anblick.
Er will zurück nach China, hat das Zimmer bei mir gekündigt. Deutschland ist für ihn nun ein sinkendes Schiff. Seine Hoffnungen gehen wie Ballast über Bord.
Die ersten, die ziehen werden, sind die Zugezogenen, denke ich. Es gibt keine Kurse mehr, auch keine Jobs, keine Aussicht auf Zukunft.
Wird meine seit vielen Jahren existierende Einnahmequelle versiegen? Es ängstigt mich durchaus. Arbeiten ist wichtig, es gibt mir ein Stück Zugehörigkeit. Ich versuche mir vorzustellen, wie danach nichts mehr so sein wird wie zuvor.
23.03.
Die vielen Nachrichten von außen weichen allmählich der Innenschau. Ich denke über mich nach. Was ich erreicht habe, auf welchen verschlungenen Pfaden. Ob und wenn ja, welche Fehler mir unterlaufen sind.
Gestern hat mich ein lang ersehntes Treffen mit Lucie und Lene in der Hasenheide trauriger zurückgelassen, als wenn es nicht stattgefunden hätte. Sie will meine selbst gebackenen Muffins nicht essen, weil ich sie mit den Fingern angefasst habe. Ich fühle mich wie eine Aussätzige.
Lene testet einen Krümel. Beide sind irgendwie schlecht gelaunt. Die Jüngere lässt sich nach und nach erweichen, mit mir etwas Ball zu spielen.
Che Tristezza!
Später zuhause male ich mir aus, wie erschrocken sie sein mögen. Lene hat keine Schule mehr, keine Theatergruppe und keine Klavierstunde, befindet sich mit den Eltern im home schooling. Lucie macht ihr Referendariat im online Modus, erledigt das Arbeitspensum im home-office. Sie zeigt mir ihre Pläne, die aussehen, als müsste sie eine riesige Produktionsstätte koordinieren. Sie klagt häufiger über Kopfschmerzen, wenn sie zu lange am laptop sitzt. Warum darf ich nicht zu Oma und Opa, wird Lene gefragt haben. Das Bedürfnis nach Nähe ist da, aber zugleich die Angst andere zu zerstören. Die Eltern werden zu ihr von Risikogruppe sprechen, vom Vorsichtigsein gegenüber den Alten. Und: die Eltern haben selber Angst ihren eigenen Eltern weh zu tun.
Sehr kompliziert, das alles.
24.03.
im Traum liege ich in einem Boot und werde über den See gerudert. Das Boot schaukelt hin und her, zu beiden Seiten gluckst das Wasser. Über mir nur der Himmel mit den vorüber ziehenden Wolken.
Wunschvorstellung Schwerelosigkeit. Das Bild entsteht vor Jahren bei einer Übung. Entlang der Farben des Regenbogens soll ich immer tiefer sinken bis hin zur Farbe indigo blau, das ist die letzte Stufe. Zufällig ist das auch meine Lieblingsfarbe zu der Zeit. Dort angelangt, stelle ich mir einen Ort vor, an dem ich gerne sein möchte. Vor mir taucht ein Holzboot auf, in dem ich ausge-
streckt liege. Jemand rudert mich über den See. Ich weiß nicht, wer es ist.
Sich eine Person erfinden. So sein wie sie.
Ein Künstler, den ich mag, zeichnet ausgiebig immer die gleiche von ihm erfundene Person, verfolgt sie überall hin, ist ihr auf den Fersen wie ein Reporter. Er bildet sie in jeder Lebenslage ab, ihre Erfolge, ihre Niederlagen, ihre Schwächen, wie sie berühmt wird, in der Zeitung steht, an bekannten Orten ausstellt, wen sie heiratet, wie sie scheitert und so fort.
Welche Person könnte ich mir überlegen?
26.03
Wenn ich spät in der Nacht vom Atelier nach Hause radle, sind die Straßen gespenstisch leer. Ich bin die letzte Überlebende.
Im Radio bringen sie ein Nachkriegshörspiel. Daraus ist mir ein Satz hängengeblieben… die Fassaden standen noch, dahinter war nichts. Gemeint sind natürlich die von den Bombenangriffen zerstörten Häuser.
Abends sind jetzt alle Fenster hell, weil wir ständig zu Hause sind. Aber es wirkt, als hätte der Satz aus dem Hörspiel sich in sein Gegenteil verkehrt. Die Fassaden stehen noch, aber davor ist nichts. Nur leere Straßen zwischen den Häusern, kein Verkehr, keine Menschen.
Viel Vogelgezwitscher und Glockenschläge. Es ist verdächtig, aber schön, ohne Autos durch die Nacht zu radeln. Etwas, was wir lange nicht kannten. Die autofreien Sonntage in den 70-igern kommen mir in den Sinn. Das Frühstücken auf dem Kurfürstendamm.
Aber jetzt ist es kein fröhliches Beisammensein. Die Leere kommt aus der Not. Deshalb gehen die Menschen nicht raus und arbeiten zu hause.
Anderen ist die Tätigkeit draußen komplett weggebrochen. Zum Beispiel mir. Museen sind geschlossen, alles steht still. Die Volkshochschule schließt ihre Pforten. Es gibt keine Kurse. Der Staat verordnet den Stillstand. Die Natur erholt sich
Die schwarze Null wird gekippt. Erstmals verschuldet sich die Regierung in Milliardenhöhe, um die Wirtschaft zu stützen. Ich traue meinen Ohren nicht, war doch die schwarze Null das Erkennungszeichen der Republik. Es muss schlimm stehen um die Lage im Land.
Einem Bäcker, dem die Kundschaft fehlt, kommen vor laufender Kamera in den Nachrichten die Tränen. Heulend fleht er seine Kunden an weiter bei ihm Brot zu kaufen. Es berührt mich, weil es echt wirkt.
Das Wirtschaften hat aufgehört. Niemand weiß, wie lange der Ausnahmezu-
stand andauert. Es ist die Ausnahme von einer Normalität, die vorbei ist.
Die Stadt und die Stimmen, heißt das Hörspiel von Jürgen Becker. Der Autor ist in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Köln und schreibt: Unterwegs in der Stadt, die ich gut zu kennen glaube. Bald weiß ich, dass ich mich täusche. Was ich kenne, sind Erinnerungen an die Stadt.
Eine halbe Million Menschen ist weltweit mit dem Virus infiziert, in Deutschland 36.000. In Wirklichkeit sind es mindestens 45.000, wird behauptet. Nach den Daten der Hopkins Universität sind hier bislang 239 Personen gestorben.
In Italien gibt es 8000 Tote. Es zerreißt mir das Herz. Über 80.000 sind positiv getestet. Vielleicht liege die hohe Todes Zahl an einer Unverträglichkeit von Antibiotika. Außerdem hätten italienische Krankenhäuser seit langem mit resistenten Keimen zu tun, entnehme ich den hiesigen Zeitungen.
27.03.
An vier aufeinanderfolgenden Tagen begebe ich mich ins Atelier. Mit meinen Stiften zeichne ich verlassene Räume. Zwei Klappstühle, schon ein wenig kaputt und bemoost, stehen in einer Art zerstörtem Ausstellungsraum, verlas-
sen, menschenleer. Der Putz bröckelt von den Wänden, die Pflanzen wachsen aus dem Boden. Danach mache ich das Gleiche noch mal in Aquarell.

An einem der nächsten Tage zoome ich mithilfe von Photoshop Figuren aus meinen Bildern von der verschobenen Ausstellung, bringe sie ohne Kontext zusammen auf ein Blatt. Es kommt mir vor wie eine OP. Die grellen Lampen im Saal sind eingeschaltet. Größenverhältnisse stimmen nicht mehr. Man konzentriert sich auf Organe und Extremitäten. Getrennt voneinander zeichne ich die Figuren auf das weiße Papier. Sie schauen weg oder durch uns durch. Wir sind die neuen Abstandsmenschen.

29.03.
im Traum vermische ich einen knackigen Salat mit dem dressing. Bunt, frisch, mit Kräutern aus dem Garten. Ich verschicke ihn in einem Paket per Post an meine Freunde, weil niemand raus darf.
Viele bestellen ihr Essen nun online. Der Zulieferer Delivery Hero geht im Juni erfolgreich an die Börse. Damit Großeltern nicht in den Supermarkt gehen müssen, bringen Töchter und Söhne Pakete mit Nahrungsmitteln vorbei.
31.03
Mit Begeisterung pflücke ich die Blüten meiner selbstgepflanzten Zucchini und Kürbisse. Den ganzen Sommer über, in dem ich nicht verreist bin, habe ich ein Stück Grün im Hinterhof beackert. Es hat mich von der Pandemie abgelenkt und mein Herz erfreut. Ich habe unzählige gelbe Blumen verspeist, nur die männlichen, denn aus den weiblichen entsteht die Frucht, die muss man dran lassen. Ich habe über das Verhalten von Pflanzen nachgedacht. Dass sie so sind wie wir: Sie brauchen guten Humus und eine Gärtnerin, die sie versteht.

Heute ist der 15.Oktober 20. Die Zahlen sind längst veraltet. Ich arbeite wieder in meinen Kursen und wurde für die Auszeit sogar entschädigt. Chapeau!
In ganz Europa beginnt die 2. Welle. Öffnungszeiten werden heruntergefahren, das Betriebsystem wird wieder verlangsamt. Erneut ist von exponentiellem Wachstum die Rede.
Meine Aufzeichnungen aus der Zeit der 1.Welle enden an dieser Stelle. In meinem Heft und in meinen Träumen geht es aber weiter. Die Pandemie ist nicht vorbei.
Fortsetzung folgt!!
Ich bin s t e f a n i m a j e r 70 Jahre, teilzeit berufstätig. Seit langem unterrichte ich Erwachsene an der VHS-Mitte. Ich habe einen Mittelstufen Kurs im Fachbereich Deutsch und den von mir selbst ins Leben gerufenen Kurs `lernort-deutsch-im-museum`, der sich in der Berliner Museumslandschaft abspielt. Beides mache ich gerne, nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch, weil es meine Zeit strukturiert. Auf den regelmäßigen Kontakt mit jüngeren Kursteilnehmern möchte ich so schnell nicht verzichten. Ich stecke aber auch Energie in meine Bilder im Atelier, übe meine alten Stücke am Klavier, übernachte in einer Datsche im Wald am See, radle mit Freunden in Brandenburg herum, spiele mit meiner Enkeltochter Chaoten mau mau. Konzerte, Museen, das Sommerkino, ein open gallery weekend und ähnliches bringen mich zum Nachdenken und verbinden mich mit der Stadt. Die Gruppe `Übergänge` ist mir ans Herz gewachsen, weil sie in schwierigen Zeiten auf wunderbare Weise weiter zusammen hält, sich gegenseitig anregt und unterstützt. In Ermangelung von life Veranstaltungen artikulieren wir uns umschichtig im Blog und jeder gibt etwas von sich zum besten.
Maskenblues
von Monika Schopp

In den warmen Sommertagen scheint sich Corona immer weiter zu entfernen. Eine gewisse Nachlässigkeit mit den ‚AHA-Regeln’, immer wieder auf den Plakaten der öffentlichen Verkehrsmittel nachzulesen, scheint sich breit zu machen.
Zurück zum alten, sogenannten unbeschwerten Lebensgefühl unserer ‚Überflussgesellschaft’. Es ist Sommer, viele Aktivitäten wie Kino, Theater, Musik oder private Treffen können unter freiem Himmel stattfinden. Auch ich nehme daran teil, ausgerüstet mit der mich immer begleitenden Maske. Wie oft bin ich schon vor der Haustüre umgekehrt, weil ich das gute Stück wieder einmal vergessen hatte. Oder ich habe mir ein Tempotaschentuch , den zufällig eingesteckten Schal oder den Einkaufsbeutel vor die Nase gehalten. An meiner Eingangstüre hängt als Reminder eine Maske. Hilft aber alles nichts, trotzdem kommt es vor, dass ich sie vergesse.
Ich besitze inzwischen eine umfängliche Maskensammlung. 11 bunte Stoffmasken, verschiedene Modelle, farblich passend zu meiner Garderobe. Da lässt sich schon fast ein gewisser ‚Suchtfaktor’ bemerken. Die Masken mit der Mittelnaht, die zu Beginn der Krise als selbst genähter Modelle in den Umlauf kamen, gefallen mir nicht. Die Träger*innnen bekommen dadurch eine Art Nashornkopf. Das habe ich auch erst festgestellt, nachdem ich ca. 4 Stück von diesem Modell erworben hatte. So sammeln sich die sogenannten Maskenfehlkäufe bei mir an. Zu eng oder zu weit, dann sitze ich da und versuche die Gummis passgerecht auszutauschen. Nicht alle Masken haben einen kleinen Metallbügel über der Nase, dieser ist ganz hilfreich, damit lässt sich die Maske besser der Gesichtsform anpassen. Das bemerkte ich wiederum, nachdem ich ca. 6 Stück ohne diesen Metallbügel hatte. Die Masken mit dem Metallbügel dürfen nicht in der Waschmaschine gewaschen werden, der Bügel könnte sich da verhacken, ein etwas teurer Spaß. Bei zwei von meinen Maskenmodellen lässt sich zusätzlich ein Papierfilter einschieben. Das soll angeblich besser schützen, ist aber als Modell dann dicker. Vielleicht für die kältere Jahreszeit besser geeignet. Ach ja, das wäre dann auch noch ein Thema: die Frühjahrs- Sommer- Herbst –und Wintermaske. Zwei andere meiner Stoffmasken haben eine Art Ventil an der Seite, angeblich lässt es sich damit besser atmen. Ich konnte nicht soviel Unterschied feststellen. Es gibt auch Masken, die sind zu klein oder zu groß, merkt man auch erst nach dem Kauf, im Laden anprobieren geht ja nicht. Und last but not least da ist auch noch die Maske mit dem Antibeschlagschutz für Brillenträger. Die Stoffmasken sind waschbar bei 60° -100°. Eine Zeitlang konnten Nähbegabte damit gutes Geld verdienen. Entweder privat im Internet über Nebenan.de, oder in den Schaufenstern von Schneidereien, Klamottenläden, Antiquitätenläden, Nagelstudios etc. Überall gab es die bunten Stoffkreationen zu einem Preisangebot von 3.-€ bis 20.-€ . Zur Zeit haben sich die Preise bei durchschnittlich bei ca. 5.-€. eingependelt. Im Vorbeigehen schaue ich mir nach wie vor immer gerne an, was da so in den Auslagen liegt, manchmal greife ich auch zu, aber nicht mehr so oft wie noch vor einigen Wochen. Mit der Stoffmaske ist es so wie mit einem T-Shirt, sie leiert irgendwann aus und ich möchte auch ab und zu mal was anderes an mir sehen. Hoch lebe die bunte Stoffmaske als modisch schmückendes Accessoire.

Zugegebenermaßen würde ich mich besonders in den öffentlichen Verkehrsmitteln inzwischen ‚ohne’ nackt und ungeschützt fühlen. Nichts desto trotz empfinde ich es als einen Mangel, nur die Augen eines Gegenübers sehen zu können. Mir wird bewusst, dass es schwieriger ist, von den Augen meines Gegenübers etwas abzulesen, der Mund eines Menschen wirkt auf mich viel direkter, konkreter.
Zusätzlich besitze ich ein Sortiment dieser blauen Masken, die nach einmaligem Gebrauch wegzuwerfen sind. Die vier FFP 2 Masken, in zwei unterschiedlichen weißen Körbchenmodellen, die sich auch in meiner Sammlung befinden, lassen sich im Ofen bei 60°- 80° trocknen und mehrmals benutzen. Die weiße, schweizer Baumwollmaske, erstanden in der Apotheke für 10.-€, hält 100° aus. Weiter in meiner Sammlung kann ich auf 6 Bambinoschutzmasken aus dickem Filterpapier blicken. Ich kaufte sie noch lange vor der Corona-Zeit zum Schutz vor Grippeviren. Einen ganz besonderen Schatz in meiner Sammlung bilden allerdings 25 hochwertige, weiße, weiche Schutzmasken aus Korea. Neben vielen anderen Geschenken ein Geschenk des koreanischen Staates an mich persönlich, da mein Vater nach dem Koreakrieg in der Zeit von 1954-1956 in Pusan an einem Hospital des roten Kreuzes dort tätig war. Der Kommentar meines hiesigen Physiotherapeuten zu diesen Masken war:“ So etwas hochwertiges bekommt man bei uns ja gar nicht.“ Ein weiteres spezielles Einzelstück in meiner Sammlung ist ein durchsichtiges Schild, das mit einem Riemen am Kopf zu befestigen ist. Dieses Modell erinnert an Arbeiter in einem Schweißereibetrieb.
Mein persönliches ‚Corona-Carepacket’ beinhaltet zusätzlich Desinfektionslösungen für die Hände und Oberflächen in verschiedenen Flaschengrößen und ein Packet von 100 Paar Einweghandschuhen, die Apotheke hatte nur dies ‚Großpackung’.

Trotz dieser umfänglichen Corona –Selbsthilfe – Artikel die sich in meinem Haushalt angesammelt haben, bleibt die Ungewissheit, was der Herbst und Winter bringen wird. Ich genieße den Sommer, gehe so oft wie möglich zum Baden und treffe auch gerne Freunde und Bekannte. Ich habe die Gartenarbeit und meine Theaterproben wieder aufgenommen.Auch in der Gruppe ‚Übergänge´ treffen wir uns wieder regelmäßig, allerdings privat im Garten bei Kaffee und Kuchen. Wir sind uns dadurch irgendwie näher gekommen trotz des Abstandhaltens. Alles Aktivitäten, die eher abhängig vom schönen Wetter sind.

Monika Schopp, 71, Regieassistentin und Dozentin; seit dem ich im Rentenalter bin, spiele ich hin und wieder Theater. Ich bin ehrenamtlich bei der Parkpflege des Lietzenpaks und bei den Lesepaten tätig, unterrichte hin und wieder Filmschaffende, reise gerne, betreibe mäßig Sport und treffe mich gern mit Familie und Freunden. Derzeit alles unter den ‚Coronabedingten Möglichkeiten‘. Die Arbeit in unserer Gruppe ‚Übergänge ‚ macht mir sehr viel Spaß. Auf der Suche nach Angeboten für Gäste unserer Salonveranstaltungen führen wir anregende Gespräche über Themen die uns beschäftigen, tauschen Ideen aus und finden so auch Anregungen die Gestaltung unseres eigenen Alltags betreffend. Mein Motto: Pioritäten erkennen und neugierig bleiben.
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Zäsur
von Sigrid Engelbrecht
Ein Geräusch so scharf wie ein Schuss,
als fiele die Tür krachend ins Schloss,
hätte Leben ausgesperrt,
hätte Leiden eingesperrt,
hätte Wege vom Ich zum Du für immer versperrt,
Sperren, Sperren, Sperren.
Wer an der Schwelle steht,
hat Pech gehabt.
Flexibel
Einmal wird so gesagt
Und dann ganz anders,
Und dann wieder das Gegenteil.
Einmal wird so gesagt
Und dann ganz anders,
Und dann wieder das Gegenteil.
Verhüllt
Neue Hüllen,
Neue Ferne,
Ach wie schön,
nicht nah sein zu müssen.
Draußen
Wenn ich draußen bin,
hat nichts sich verändert,
die Krähen sind die Krähen,
die Birken sind die Birken,
der Bach fließt still in den Fluss
doch in der Stadt
haben die Menschen Masken auf.
Lesestoff
Viele lesen „Die Pest“,
ich lese „Das letzte Gefecht“,
und mein bester Freund die „Memoiren einer Überlebenden“
Keiner liest Liebesgeschichten.
Sigrid Engelbrecht, 66, wo ja das Leben bekanntlich erst anfängt ;-), unverdrossen selbständig seit nunmehr 30 Jahren in wilder Mischung aus Grafik-Design + Malerei + literarischem Schaffen (Sachbuchautorin, habe etwa um die 30 Bücher geschrieben, v.a. Ratgeber) + Seminartätigkeit mit Schwerpunkt Persönlichkeitsentwicklung + individuellem Coaching zu Fragen der Lebensgestaltung. Zwischendrin war ich auch mal parallel zu allem anderen für ein Vierteljahrhundert Kommunalpolitikerin.
Ich bin gerne draußen unterwegs + habe Berlin tatsächlich komplett zu Fuß umrundet + statte nunmehr allen Berliner Ortsteilen einen Besuch ab, denn es gibt tatsächlich welche, wo ich noch nie gewesen bin, doch deren Zahl schrumpft nun stetig. J .
Die Arbeit in unserer Gruppe „Übergänge“ gefällt mir sehr + ich gehe kaum je ohne neue Anregungen von unseren Treffen nach Hause. Ich freue mich schon darauf, wenn wieder Salonveranstaltungen live stattfinden können. Nach unserer erfolgreichen Auftakt-Veranstaltung konnte ja nun leider coronabedingt zunächst kein weiterer Salon folgen, doch wir sind jetzt guter Dinge + haben Ideen für mindestens drei neue Veranstaltungen.
Mein Motto: „Wege entstehen, indem man sie geht“ (Franz Kafka)